ADHS verstehen: Leitfaden für Angehörige und Freunde
Der Alltag mit einem nahestehenden Menschen, der ADHS hat, bringt besondere Herausforderungen mit sich. Gespräche werden plötzlich unterbrochen, wichtige Termine geraten in Vergessenheit und die emotionale Achterbahn scheint nie stillzustehen. Für Partner und Partnerinnen, Familienmitglieder oder enge Freunde und Freundinnen entstehen Situationen, die Geduld und Verständnis fordern – oft, ohne dass sie genau wissen, wie sie angemessen reagieren sollen.
Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ist mehr als nur Unruhe oder Zerstreutheit: Sie prägt das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen grundlegend. Mit fundiertem Wissen und bewährten Strategien lässt sich das Zusammenleben jedoch erheblich erleichtern. Eine professionelle Psychotherapie im Schwarzwald kann dabei unterstützen, wenn zusätzliche Hilfe benötigt wird.
Inhaltsverzeichnis
- Das Wichtigste in Kürze
- Was ist ADHS? Ein Überblick
- Herausforderungen im Alltag für Betroffene
- Wie man als Angehöriger oder Freund unterstützen kann
- Grenzen setzen und Selbstfürsorge nicht vergessen
- Typische Missverständnisse im Umgang mit ADHS
- Professionelle Unterstützung und Netzwerke
- Fazit
Das Wichtigste in Kürze
- ADHS ist eine neurobiologische Störung, die sich auch im Erwachsenenalter deutlich zeigt.
- Verständnis und eine strukturierte Unterstützung erleichtern das Zusammenleben erheblich.
- Angehörige sowie Freunde und Freundinnen müssen lernen, ihre eigenen Grenzen zu wahren.
- Professionelle Hilfe sollte frühzeitig in Betracht gezogen werden.
Was ist ADHS? Ein Überblick
ADHS, die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, ist eine Störung der neuronalen Entwicklung, die das Verhalten, die Aufmerksamkeit und die Impulskontrolle beeinflusst. Entgegen weit verbreiteter Annahmen verschwindet diese Störung nicht automatisch mit dem Erwachsenwerden. Während bei Kindern und Jugendlichen häufig körperliche Unruhe im Vordergrund steht, zeigt sich ADHS bei Erwachsenen oft durch innere Rastlosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Schwierigkeiten bei der Organisation des Alltags.
Die Symptome äußern sich individuell sehr unterschiedlich. Manche Betroffene kämpfen primär mit Aufmerksamkeitsproblemen und wirken verträumt oder abwesend, während andere unter ausgeprägter Impulsivität leiden und Schwierigkeiten haben, Handlungen zu durchdenken. Wieder andere zeigen eine Kombination aus Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und impulsivem Verhalten. Diese Vielfalt macht es für Angehörige oft schwer, die Störung zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Wichtig ist: ADHS ist keine Charakterschwäche, sondern eine behandelbare Erkrankung.
Herausforderungen im Alltag für Betroffene
Menschen mit ADHS stoßen täglich auf Hürden, die für andere kaum wahrnehmbar sind. Die Regulation von Aufmerksamkeit stellt eine der größten Schwierigkeiten dar: Während Betroffene sich bei interessanten Tätigkeiten vollständig vertiefen können, fällt es ihnen schwer, sich auf routinemäßige oder als langweilig empfundene Aufgaben zu konzentrieren. Diese selektive Aufmerksamkeit führt häufig zu Missverständnissen im privaten und beruflichen Umfeld.
Im sozialen Miteinander ergeben sich weitere Herausforderungen. Impulsive Äußerungen, das Unterbrechen von Gesprächspartnern und -partnerinnen oder das Vergessen von Verabredungen belasten Beziehungen. Die emotionale Regulation fällt vielen Betroffenen schwer – intensive Gefühlsreaktionen auf vermeintliche Kleinigkeiten sind keine Seltenheit. Hinzu kommen organisatorische Probleme: Rechnungen werden übersehen, Termine vergessen und die Wohnung versinkt trotz guter Vorsätze im Chaos. Diese Schwierigkeiten führen oft zu einem verminderten Selbstwertgefühl und dem Gefühl, den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen zu sein.
Wie man als Angehöriger oder Freund unterstützen kann
Als Angehöriger oder Angehörige können Sie einen wesentlichen Beitrag zum Wohlbefinden der betroffenen Person leisten. Verständnis und Geduld bilden dabei das Fundament jeder Unterstützung. Sie sollten erkennen, dass Verhaltensweisen wie Vergesslichkeit oder Unaufmerksamkeit nicht aus böser Absicht entstehen, sondern Ausdruck der Störung sind.
Folgende Strategien haben sich in der Praxis bewährt:
- Klare Kommunikation: Formulieren Sie Erwartungen und Bedürfnisse deutlich und vermeiden Sie vage Andeutungen.
- Strukturierte Unterstützung: Helfen Sie bei der Einrichtung von Routinen, Erinnerungssystemen und Zeitplänen.
- Positive Verstärkung: Würdigen Sie Fortschritte und Erfolge, auch wenn sie klein erscheinen.
- Gemeinsame Lösungssuche: Entwickeln Sie zusammen mit der betroffenen Person praktische Strategien für den Alltag.
- Reizreduktion: Schaffen Sie – wenn möglich – ablenkungsarme Umgebungen für Tätigkeiten, die Konzentration erfordern.
Wichtig ist dabei, nicht in die Rolle des Betreuers oder der Betreuerin zu verfallen, sondern die Eigenverantwortung der betroffenen Person zu respektieren. Ihre Unterstützung sollte Hilfe zur Selbsthilfe sein, nicht die vollständige Übernahme aller organisatorischen Aufgaben.
Grenzen setzen und Selbstfürsorge nicht vergessen
Das Leben mit einem Menschen, der ADHS hat, kann emotional und praktisch sehr fordernd sein. Viele Angehörige sowie Freunde und Freundinnen geraten in einen Zustand der Überforderung, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen. Langfristige Unterstützung ist jedoch nur möglich, wenn Sie selbst nicht ausbrennen.
Grenzen zu setzen ist kein Zeichen mangelnder Zuneigung, sondern notwendiger Selbstschutz. Kommunizieren Sie klar, was Sie leisten können und was nicht. Es ist vollkommen legitim, bestimmte Verhaltensweisen nicht zu akzeptieren, selbst wenn sie durch ADHS beeinflusst sind. Auch Betroffene müssen lernen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und die Auswirkungen auf ihr Umfeld zu berücksichtigen.
Pflegen Sie bewusst Auszeiten und eigene Aktivitäten. Der Austausch mit anderen Angehörigen in Selbsthilfegruppen kann entlastend wirken, da Sie dort auf Menschen treffen, die ähnliche Erfahrungen machen. Scheuen Sie sich nicht, professionelle Unterstützung in Form von Beratung oder Therapie in Anspruch zu nehmen, wenn Sie merken, dass die Situation Sie überfordert. Ihre psychische Gesundheit ist genauso wichtig wie die der betroffenen Person.
Typische Missverständnisse im Umgang mit ADHS
Zahlreiche Mythen und Fehleinschätzungen erschweren den verständnisvollen Umgang mit ADHS. Diese Missverständnisse führen häufig zu unnötigen Konflikten und Frustration auf allen Seiten:
- Faulheit statt Störung: Konzentrationsprobleme und Prokrastination werden oft als mangelnde Motivation oder Faulheit interpretiert, obwohl sie neurobiologisch bedingt sind.
- Gewollte Provokation: Impulsive Äußerungen oder Handlungen erscheinen als bewusste Respektlosigkeit, sind jedoch Ausdruck mangelnder Impulskontrolle.
- Fehlende Willenskraft: Die Annahme, Betroffene könnten sich „einfach zusammenreißen“, verkennt die reale Einschränkung der Selbstregulation.
- Überdramatisierung: Manche Menschen glauben, ADHS sei eine Modeerscheinung oder werde zu häufig diagnostiziert, was die Leiden der Betroffenen bagatellisiert.
- Kinderkrankheit: Die weitverbreitete Vorstellung, ADHS betreffe nur Kinder und verwachse sich, ignoriert die Persistenz der Störung bis ins Erwachsenenalter.
Das Verständnis dieser Missverständnisse hilft, unrealistische Erwartungen zu korrigieren und einen angemessenen Umgang zu finden. Betroffene leiden oft unter Schuldgefühlen und dem Gefühl des Versagens – umso wichtiger ist es, dass ihr Umfeld die neurobiologische Grundlage der Störung anerkennt.
Professionelle Unterstützung und Netzwerke
ADHS ist eine behandelbare Störung. Professionelle Hilfe kann das Leben von Betroffenen und Angehörigen erheblich verbessern. Eine multimodale Therapie, die Psychotherapie, gegebenenfalls Medikation und psychoedukative Maßnahmen kombiniert, gilt als besonders wirksam. In Einrichtungen wie dem Sigma Zentrum bieten wir spezialisierte Programme, die auf die individuellen Bedürfnisse erwachsener Patienten und Patientinnen mit ADHS zugeschnitten sind.
Als Angehöriger oder Angehörige können Sie unterstützend wirken, indem Sie die betroffene Person ermutigen, professionelle Hilfe zu suchen. Begleiten Sie sie auf Wunsch zu ersten Gesprächen und informieren Sie sich gemeinsam über Behandlungsoptionen. Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige bieten zudem die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und zur gegenseitigen Unterstützung. Viele Menschen empfinden es als erleichternd zu erfahren, dass sie mit ihren Herausforderungen nicht allein sind.
Fazit
Das Verständnis von ADHS als neurobiologische Entwicklungsstörung bildet die Grundlage für ein gelingendes Miteinander. Mit Wissen, Geduld und klaren Strukturen können Angehörige sowie Freunde und Freundinnen wertvolle Unterstützung leisten, ohne sich selbst zu verlieren. Wichtig ist dabei, die eigenen Grenzen zu wahren und die Eigenverantwortung der betroffenen Person zu respektieren.
Professionelle Unterstützung sollte nicht als letzter Ausweg betrachtet werden, sondern als wertvolle Ressource für alle Beteiligten. Im Sigma Zentrum begleiten wir Menschen mit ADHS und ihre Angehörigen auf dem Weg zu mehr Lebensqualität und einem besseren Verständnis der Störung. Wenn Sie oder nahestehende Personen Unterstützung benötigen, stehen wir Ihnen gerne zur Seite.